Die Mauern des ehemaligen Landwerks Neuendorf atmen Geschichte aus. Von 1932 bis 1941 war es ein Hachschara-Lager, das jüdische Jugendliche angesichts der katastrophalen Lage in Deutschland auf eine Auswanderung nach Palästina vorbereitete. Auch Jutta Baumwol lebte im Landwerk Neuendorf, sie kam 1941 als 16-Jährige dort an. Doch die Reise nach Palästina trat sie nie an, denn noch im selben Jahr machten die Nationalsozialisten aus dem Gut ein Zwangsarbeiter-Lager. 1943 wurden die letzten jüdischen Bewohner*innen ins KZ deportiert.
Inzwischen wird das Areal von einer Hausgemeinschaft bewohnt – aus ihr heraus entstand 2018 der Verein „Geschichte hat Zukunft e.V.“ Er arbeitet daran, die Vergangenheit des Gutes zu dokumentieren und es der Öffentlichkeit als Erinnerungsort zugänglich zu machen. „Wir wollen diese Geschichte sichtbar machen, um einen Ort zu schaffen, an dem über Zukunft diskutiert wird“, sagt Tanja Tricarico, Journalistin und Vorsitzende des Vereins.
Neuendorf sei auch ursprünglich ein Lernort gewesen, daran wolle man anknüpfen, sagt sie, mit Lesungen, Konzerten, Filmvorführungen. Seit 2019 treffen sich die Bewohner*innen des Guts, zu denen auch Tricarico gehört, zu „Dorfgesprächen“ mit Interessierten aus der Region, tauschen Lebensgeschichten, Erfahrungen und Wissen aus. Doch auch nach vorne geht der Blick: regionale Ernährung und eine nachhaltige Landwirtschaft sind ebenso naheliegende Themen an diesem Ort.
Einer der wenigen Gasthöfe in der Gegend schenkt neben Bier rechtsextreme Parolen aus, die Post hat zugemacht, der Konsum ist schon lange dicht. „Es gibt das Bedürfnis, zusammenzukommen“, sagt Tanja Tricarico. „Wir bieten unseren Hof dafür an. Als einen Ort an, an dem über den Wandel und die Brüche dieser Region gesprochen werden kann.“