Waldkappel: Ein beschauliches Städtchen in Hessen, geprägt von Ländlichkeit mit einigen Schafherden und alten Mythen, die drohen, in Vergessenheit zu geraten. Vor einigen Jahren ist die Künstlerin Luisa Kleine mit elf Menschen in die Fuchsmühle gezogen, 40 weitere junge Leute sind ihrem Beispiel gefolgt. Genossenschaftlich organisieren sie sich in den Häusern und erproben alternative Lebensweisen, um weniger ausbeutende, mehr wertschätzende Systeme aufzubauen. Prozesse des Lernens und Verlernens, Konflikte besprechen und Scheitern gehören mit dazu. Mithilfe des Vereins Region im Wandel versuchen sie, zur Lebendigkeit vor Ort beizutragen und Probleme wie Leerstand, Einsamkeit, Strukturschwäche zusammen mit den Menschen anzugehen. So betreiben sie einen Lebensmittelladen in der Alten Schule und einen Umsonstladen, teilen einen Seminarraum und die Autos; einige arbeiten in der Solawi, andere haben ihren Job außerhalb. Im Leerstandslabor trifft man sich einmal im Monat. Hier finden Näh- und Flickcafés statt – tolle Stimmung! – Kinder- und Kinoprogramme. Eigentlich läuft alles bestens oder?
Freiberuflich als Redakteurin und zudem für das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz BMWK in einem Forschungsprojekt zum Thema regionale Resilienz tätig, ist Luisa Kleine zwar mit ihrer persönlichen Situation zufrieden, möchte aber noch tiefer in die Materie einsteigen: „Ich habe Lust, auf die Notwendigkeiten unserer Zeit angemessene Antworten zu finden. Schon viele Jahre engagiere ich mich in Bewegungen, die hin zu einem guten Leben für alle streben.“ Denn viele Menschen fühlen sich überfordert oder erschöpft von den allgemeinen Anforderungen, sehen vielleicht auch nicht den Sinn in ihrem Tun. Jedenfalls ist sie über ihr Forschungsprojekt auf die Situation der Schäfer gestoßen, die ihre Wolle seit einigen Jahren nicht mehr angemessen vermarkten können. Und andererseits auf die mythische Gestalt der Göttin Holle – einer wechselbaren Figur. Mit ihr, der Fruchtbarkeits-, Liebes- und Todesgöttin, sind zahlreiche Geschichten verbunden. Beides möchte sie mit ihren Künstlerfreundinnen Priska Lang und Ida Kuhfß reaktivieren. So treten sie eine Forschungsreise an, gehen in der Region spazieren, schauen: Welche Orte, Leute, Schafe existieren? Luisa Kleine ist überzeugt, dass „Transformation überhaupt nur so passieren kann: indem Menschen sich zusammentun und gemeinsam kontextbezogen forschen, wie sie an ihren konkreten Orten in diesen Zeiten die Strukturen umwandeln, sodass diese dem Leben und dem dafür Notwendigem dienlich sind.“ Am Ende sollen die beiden Themenfelder Holle und Wolle miteinander verwoben werden: Beim Spinnen und Weben werden Geschichten erzählt, alte Mythen und eigene Erlebnisse eingeflochten. Auf diese Weise können sie den leerstehenden Laden beleben und sich mit den Leuten verbinden, jungen, neuen und alteingesessenen. Parallel knüpfen sie Kontakte zu örtlichen Vereinen und zur regionalen Textilproduktion in Apolda. Mit dem Ziel vor Augen, ein gutes Leben für alle zu ersinnen.