Hemsbünde: Zwei Kaugummiautomaten, ein Zigarettenautomat, ein leerstehender Laden. Der Ort ist ein Straßendorf mit gut Tausend Einwohnenden, Neubaugebieten in zweiter Reihe, einer Sporthalle und einem Kindergarten. Kartoffeln und Eier kann man an einem verschließbaren Holzgestell kaufen. Wer zum Zigaretten holen geht, fährt mit dem Auto. Überhaupt geht fast nichts ohne Auto, hier im Einzugsgebiet von Hamburg und Bremen. Der Ort fühlt sich leer an. Wenn Eltern ihre Kinder abholen, mit dem Kinderwagen spazieren gehen oder ihren Hund ausführen, kommt etwas Leben auf.
Seit 30 Jahren ist Hemsbünde selbst gewählte Heimat von Christine Mansfeld, die hier mit ihrem Mann ein verfallenes Bauernhaus erworben und renoviert hat. Mehr und mehr hat sie bemerkt, dass Zugezogene und Alteingesessene sich kaum begegnen. Man sieht sich auf der Straße, aber man kennt sich nicht, es sei denn man gehört zum Schützenverein oder der Feuerwehr.
Wie könnte man das ändern, hatte sich Christine Mansfeld, die Kulturwissenschaftlerin, in der Corona-Zeit gefragt und zusammen mit Hartmut Bischoff in ihrem Garten eine Pop-up-Fotogalerie aufgebaut. In der ersten Ausstellung zeigten sie auf Lastwagenplane gedruckte Ansichten von Neubauten, in der zweiten den vom Sturm zerstörten Wald. Wer kam, waren über Postkarten eingeladene Freund*innen, die „alten Hemsbünder“ aber blieben fern. Für ihre dritte Ausstellung durften sie den stillgelegten Friseursalon im Ortszentrum beziehen, sprachen die Leute auf der Straße an und luden zu einer Tasse Kaffee ein. Und tatsächlich: Vor den Fotos von Menschen und Abbruchhäusern kamen die Assoziationen und das Gespräch. Die Leute erzählten, wie es sei, in Hemsbünde zu leben, wo man wohne, was man tue und wie schade es sei, „dass es in Hemsbünde nichts gibt.“ Die vierte Ausstellung soll nun Hemsbünde ganz in den Fokus rücken, Straßen, Gebäude und Menschen portraitieren: Dabei denken die beiden an das junge Paar mit Kind und Hund, das vor vielen Jahren aus Russland über Bremen nach Hemsbünde kam und hier nun ein eigenes Haus hat. Und natürlich dürfen der Oberbrandmeister und der Bürgermeister nicht fehlen.
Manchmal bekommt Christine Mansfeld ein bisschen Angst vor der eigenen Courage und fragt sich, ob sie mit der Initiative nicht zu weit gegangen ist. Doch für diese Frage ist es fast schon zu spät. Denn um als Transformationsgestalterin West aktiv zu werden, hat sie sogar in kürzester Zeit einen nicht eingetragenen Verein, die „Kulturinitiative Hemsbünde“, gegründet. Fortan setzt sie auf künstlerische Entwicklungshilfe vor Ort, damit aus dem Nichtkennen ein Erkennen und Anerkennen wird. Und der Friseursalon eine gute Zwischennutzung erfährt.