Wer schon einmal Bildungs- oder Begegnungsprojekte initiiert hat, weiß, wie schwer es ist, genau die Menschen zu erreichen, für die man sich mehr Teilhabe wünscht: Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen wenig Anschluss finden. Dem Stadtlabor in Zeitz aber gelingt genau das.
Seit vier Jahren gibt es den Raum mitten in der Fußgängerzone in Zeitz, in einem ehemaligen Ladengeschäft. Eine Scheibe ist eingeschlagen, die Heizung funktioniert nicht richtig und der schlauchige Raum ist wenig gemütlich mit Fliesen ausgelegt. Und doch: Auf der Haben-Seite steht viel. Das Stadtlabor liegt mitten in der Innenstadt, gegenüber einer Drogerie („der belebteste Ort in Zeitz“), ist barrierefrei, hat eine Bank und einen schattenspendenden Baum vor der Tür – und vor allem viele ehrenamtlich engagierte Menschen, die diesen Raum mit kostenlosen Angeboten, Wärme und Vielfalt füllen.
Eine von ihnen ist Anja Reißmann. Die 44-jährige Sozialpädagogin ist in Zeitz aufgewachsen und nach Stationen in Südfrankreich und Prag bewusst zurückgekehrt in die Kleinstadt im Burgenlandkreis, die nach der Wende von Abwanderung, Arbeitslosigkeit und einer alternden Bevölkerung geprägt war. Zum Stadtlabor fand sie, als sie einen Ort für ein interkulturelles Begegnungscafé suchte.
War der Raum anfangs noch von einem Leipziger Start-Up betrieben, gründeten Reißmann und andere Engagierte bald den Verein Stadtlabor Zeitz e.V. und kümmern sich seither ehrenamtlich um Organisatorisches und Anfragen von Menschen, die den Raum für ihre Ideen nutzen möchten. Die Palette reicht von Kontaktcafés, über Nachhilfe und Spieleabende bis hin zu Lesungen in einfacher Sprache, Diskussionsrunden zu gesellschaftspolitischen Themen oder niedrigschwelligen demokratische Bildungsangebote. „Zehn bis zwanzig Teilnehmende sind eigentlich immer da“, sagt Reißmann. Besonders freut sie: „Viele Menschen, die man sonst nicht erreicht, kommen zu uns – Wohnungslose, Menschen mit Behinderung, psychisch Erkrankte, Einsame. Auch aus den migrantischen Communitys erreichen wir viele“. Gleichzeitig ist das Stadtlabor ein Ort der Vernetzung: Initiativen und Vereine nutzen ihn gemeinsam, organisieren Veranstaltungen kooperativ und teilen Material und Ideen.
Ihre Vermutung, warum das Stadtlabor so gut funktioniert: die Lage mitten in der Fußgängerzone, die ausnahmslos kostenlosen Angebote und die Bewerbung in einfacher Sprache. Auch eine Bücherkiste mit gespendeten Büchern vor der Tür zieht Menschen an und ist oft erster Kontaktpunkt für ein Gespräch, ein Kaffee oder eine Einladung mitzumachen. „Es braucht oft nur wenig, um viel zu bewirken“, sagt Reißmann. Das ist es auch, was sie motiviert. „Es ist großartig zu sehen, wenn sich auf einmal zwei Menschen bei einer unserer Veranstaltungen begegnen, merken, dass sie in derselben Straße wohnen, mit dem Ergebnis, dass die eine Person nicht mehr einsam ist und die andere Unterstützung für die Kinder gefunden hat.“
Kein Wunder, dass das Stadtlabor in kürzester Zeit zu einer festen Institution in Zeitz geworden ist. Der Erfolg bringt auch mehr Organisation mit sich – doch gerade die Einfachheit soll erhalten bleiben: ein Raum, eine Kanne Kaffee, eine offene Tür. Wenn Wachstum, dann in die Breite, denn auch an anderen Stellen der Stadt könnte solche Begegnungsorte dem Miteinander guttun.